Gastbeitrag
Christina Wagner
Am frühen Abend des 12. März 1997 verabschiedete ich mit einem Freund einen Bekannten an Bord der Resolution Bay, die Richtung Australien auslief. Hierzu waren wir zum Anleger Teufelsbrück gefahren. Die Heimfahrt traten wir mit der Fähre nach Finkenwerder an.
Von dort sollte es kurz vor 19.00 Uhr mit
der Fähre, Linie 62, weiter Richtung Landungsbrücken gehen. Zunächst schien es an Bord der FINKENWERDER eine ganz normale Fahrt zu werden, wie ich sie damals häufig
machte.
Aus dem Containerhafen lief gerade das Containerschiff Dragoner Maersk aus. Ich stand am Heck auf der Backbordseite und beobachtete in der Dunkelheit und leichtem Nebel das auslaufende Containerschiff. Am Heck erkannte ich die als Heckschlepper eingesetzte ZP MONTALI der niederländischen Kotug-Reederei. Der auf dem Arbeitsdeck hell erleuchtete Schlepper war gerade entlassen worden und holte die Schlepptrosse ein. Soweit war es im Hafen nichts Besonderes.
Doch als die Fähre in etwa 80 Meter Abstand das Heck des Containerschiffes, kurz vor der Einfahrt Parkhafen passierte, erlosch auf dem Arbeitsdeck des Schleppers das Licht. Ich dachte, er würde jetzt in Richtung seines Liegeplatzes laufen. Doch dann sah ich, wie der Schlepper schnell 90 Grad nach Steuerbord drehte und Fahrt aufnahm. Als sich am Bug des Schleppers eine Bugwelle aufbaute und er direkt auf uns zuhielt, durchfuhr es mich: Das konnte nicht gut gehen! Meinen Freund rief ich zu: „Der rammt uns!“ Er, wie auch ein weiterer Fahrgast, wirkten über meinen Ausruf allerdings überrascht.
Nicht wissend, wo uns der Schlepper treffen würde, begab ich mich sicherheitshalber auf die Steuerbordseite. Ironischerweise ging mir in diesen Moment durch den Kopf, dass die Finkenwerde gerade kurz zuvor das auf dem Brückenaufbau liegende Schlauchboot abgegeben hatte.
Nahe einem Rettungsring wartete ich auf den Aufprall. Dabei spürte ich, wie langsam Zeit vergehen konnte. Mir kam schon, obwohl es eigentlich alles schnell, in vielleicht 30 Sekunden ablief, der Gedanke, ich könnte mich geirrt haben. Doch dann sah ich über dem Decksaufbau der FINKENWERDER den Mast des Schleppers auf uns zukommen.
Es gab einen heftigen Aufprall. Die Fähre neigte sich nach Steuerbord und wurde dabei seitlich aus dem Kurs gedrückt. Sekunden später sah ich, wie der Schlepper, mit seinem Bug voran, direkt an der Fähre vorbei nach Achtern trieb.
Während kurz darauf der Schiffsführer der Fähre kam und sich erkundigte, ob jemand verletzt, oder womöglich über Bord gegangen sei, trieb der Schlepper hinter der Fähre.
Als ich dem Schiffsführer durch den hinteren Fahrgastraum folgte, sah ich, dass die Heftigkeit des Aufpralls meine Taschen von der Backbord- zur Steuerbordseite quer durch den Raum hatte fliegen lassen. Von den zu dieser Zeit wenigen Passagieren an Bord, erinnere ich mich noch an einen Mann, der Backbord nahe der Kollisionsstelle saß. Er wurde durch das rausgeflogene Fenster leicht verletzt und war durch ein Schwall Wasser, welches beim Aufprall durch das fehlende Fenster schoss, durchnässt worden.
Vom Bereich des Einstiegs aus sah ich mir zusammen mit dem Schiffsführer die Stelle des Aufpralls an. Der Schlepper hatte die FINKENWERDER kurz dahinter getroffen. Die Einstiegsrampe, sowie einige Teile des Aufbaus waren sichtbar verzogen. Die breite Scheuerleiste war bis auf wenige Zentimeter vor dem Rumpf eingedrückt. Zu unserem Glück hatten die massive Scheuerleiste und der rundliche Steven des Schleppers eine Beschädigung der Außenhaut verhindert.
Ich folgte dem Schiffsführer ins Ruderhaus, wo ich mich wunderte. Anstelle, dass der Schlepper, nachdem er ein Fahrgastschiff gerammt hatte, sich über Funk erkundigte, ob eine Hilfeleistung erforderlich wäre, versuchte der Schiffsführer der Finkenwerder über Funk die ZP MONTALI zu erreichen. Nach einigen Versuchen, war die Antwort des Schleppers, der Kapitän sei gerade nicht auf der Brücke, noch überraschender.
Aber im Moment war es wichtiger, die treibende Fähre aus dem Fahrwasser zu bekommen. Aus Richtung Hamburg kam ein auslaufender großer ConRo-Frachter entgegen. Immerhin schien die Maschinenanlage der FINKENWERDER noch zu funktionieren. Da die Versorgung der Verletzten am Anleger Neumühlen einfacher als am näherliegenden Athabaskakai sein würde, liefen wir langsam mit der angeschlagenen Fähre diesen an.
Nachdem wir ihn erreichten, die Fähre festgemacht war, waren wir froh wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. Nur kurze Zeit später trafen die ersten Rettungskräfte ein.
Währen ich zusammen mit dem Schiffsführer eine Zigarette rauchte, fiel die Anspannung ab und der Adrenalinspiegel sank. Quasi um die Wette zitternd, der Schock zeigte jetzt seine Wirkung, war uns klar, wäre die Scheuerleiste nicht gewesen, oder einer der anderen Schlepper mit einem spitzen Steven hätte uns gerammt, wäre diese Sache ganz anders ausgegangen. Aber offensichtlich war Gott an diesen Abend auf unserer Seite.
Als die Meldung, ein Schlepper habe eine Hadag-Fähre gerammt einging, wurden Erinnerungen an das Barkassenunglück von 1984, welches 19 Todesopfer forderte, wach und Großalarm ausgelöst.
Es mag fast ironisch klingen, dass der damalige Hamburger Bürgermeister genau zu diesem Zeitpunkt eine Diskussion über die Sicherheit der Schlepper bei einer reduzierten Besatzung von drei auf zwei Mann am Terminal Eurogate abhielt. Ich weiß nicht, ob er mitbekam, wie vom dort gelegenen Stützpunkt der Wasserschutzpolizei eiligst die Polizeiboote ausliefen.
Die Bürgermeister Weichmann legte sich zunächst zu dem am Athabaskakai liegenden Schlepper. Mit dem Tochterboot eilten einige Beamte zum Anleger Neumühlen. Ich erinnere mich noch, wie einer der Beamten völlig von Spritzwasser durchnässt vor mir stand.
Nachdem die Bürgermeister Weichmann zum Anleger Neumühlen verholt hatte, gab ich an Bord meine Aussage über den Hergang der Kollision zu Protokoll.
Als ich das Polizeiboot nach fast einer Stunde wieder verließ, war es auf dem Anleger inzwischen wieder ruhig geworden. Erst jetzt, wo ich richtig zur Ruhe kam, merkte ich, dass ich mich doch am rechten Fuß verletzt hatte. Wie sich am nächsten Tag herausstellte, hatte ich mir einen Bänderanriss zugezogen.
Bilanz der Kollision, vier leicht Verletzte
und rund 250.000 DM Schaden an der Fähre. Auch nach der Reparatur waren Spuren der Kollision noch zu erkennen.
Bei der späteren Gerichtsverhandlung versuchte der Kapitän des Schleppers die Schuld dem Schiffsführer der Fähre zuzuweisen. Zudem behauptete er, die Schlepptrosse hätte sich beim Einholen im Antrieb verfangen. Aber keines von beiden entsprach im Geringsten meinen Beobachtungen. Dieses sah auch das Gericht so und verurteilte den Kapitän zu einer Geldstrafe wegen fahrlässigen Eingriffs in den Schiffsverkehr, in Tateinheit mit Körperverletzung.
Nachdem die FINKENWERDER diese Kollision überstanden hatte, sollte sie am 9. Februar 2019 erneut Opfer eines Unfalles werden.
Doch dieses Mal war der Verursacher die 400 Meter lange EVER GIVEN, die auch 2021
den Sues Kanal blockierte. Das 20.000 TEU Containerschiff kam beim Anleger Blankenese vom Kurs ab und quetschte die am Anleger liegende FINKENWERDER zwischen sich und dem Ponton
ein. Bei diesem Unfall, bei dem sich glücklicherweise keine Passagiere an Bord befanden, wurde der Schiffsführer leicht verletzt. Die Aufbauten der FINKENWERDER wurden auf den Ponton gedrückt und
sehr schwer beschädigt. Während die EVER GIVEN nur einige Schramme abbekam, besieglete dieser Unfall wohl das Schicksal der FINKENWERDER. Aufgrund der extremhohen Reparaturkosten plant
die HADAG, stand 2021, die Verschrottung der Fähre. Aber auch noch 2023 liegt die schwer angeschlagene FINKENWERDER in bei der Werft in Finkenwerder. Hoffnung oder nur Gnadenzeit?
Die Fähre FINKENWERDER und der auf ihr erlebte dramatische Moment wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Meine letzten Fotos von der FINKENWERDER
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